97. Jahrestagung der DOG 1999

K 477

DAS INVERSE BIELSCHOWSKY-KOPFNEIGE-PHÄNOMEN

W. Happe, H. Mühlendyck

Als Bielschowsky-Kopfneige-Phänomen (BKP) wird die Zunahme einer positiven Vertikaldivergenz (+VD) bei Rechtsneigung oder die Zunahme einer negativen Vertikaldivergenz (-VD) bei Linksneigung bezeichnet. Ein inverses BKP liegt dagegen vor, wenn es bei Rechtsneigung zur Zunahme einer -VD oder bei Linksneigung zur Zunahme einer +VD kommt. Wir berichten über fünf Patienten mit einem einheitlichen, typischen Befundbild.

Patienten: Alle fünf Patienten wiesen eine einseitige Sursoadduktion auf, die den Verdacht auf eine Obliquus-superior-Unter- und/oder Obliquuus-inferior-Überfunktion aufkommen ließ. Es kam jedoch nicht, wie in solchen Fällen zu erwarten, zu einem relativen Höherstand bei Neigung zur mutmaßlich betroffenen Seite, sondern am stärksten bei Neigung zur anderen Seite zur Zunahme der VD im Sinne eines inversen BKP. Die intraoperativen Befunde und postoperativen Resultate bestätigen weitgehend folgende Erklärung: Ursächlich besteht eine Ansatzanomalie des M. obliquus superior. Die Sehne reicht am Ansatz zu weit nach vorn (limbuswärts) und führt dadurch zu einer rotatorischen Überfunktion. Diese Störung besteht jedoch hauptsächlich am anderen Auge, also kontralateral zur Sursoadduktion. Bei Kopfneigung zur dieser Seite, also bei Provokation einer Inzyklotropie, wird eine verstärkte kompensatorische Innervation des M. rectus inferior und somit das inverse BKP ausgelöst. Die zunächst dem Partnerauge zugeschriebene Sursoadduktion ist Ausdruck des bereits bei Kopfgeradehaltung wirksamen BKP, das in Abduktion durch die hier zunehmende rotatorische Funktion des M. obliquus superior am stärksten zu Wirkung kommt. Es wird eine Kopfzwangshaltung zur Seite der Pseudo-Sursoadduktion eingenommen, da hier die Vertikalabweichung am geringsten ist.

Schlußfolgerung: Patienten mit ausgeprägtem inversem BKP bereiten aus zwei Gründen diagnostische Probleme. Erstens ergibt sich trotz einseitiger Sursoadduktion bei Kopfneigung eine der Erwartung entgegengesetzte Vertikalabweichung, zweitens ist die Vertikalabweichung bei Neigung zur Seite des anderen Auges am größten. Diese Befunde sind durch eine Ansatzanomalie der Mm. obliqui bedingt und sind einer operativen Korrektur zugänglich.

Abteilung Strabologie und Neuroophthalmologie, Universitäts-Augenklinik, Robert-Koch-Str. 40, D-37075 Göttingen


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